Floskel des Monats
verschärft
Ein Wort, das mit Schärfe wirbt, aber so stumpf wie manch eine Rede aus der Politik sein kann: Etwas zu verschärfen, klingt immer gut und führt dennoch häufiger in die Irre. Beliebt sind solche Ausdrücke, wenn Law and Order gefordert wird, gerne nach schlimmen Ereignissen wie einem Anschlag. Dann wird populistisch argumentiert, man müsse jenes und welches Gesetz verschärfen.
Wenn beispielsweise das Asylrecht verschärft werden soll, ergibt sich auch die Frage, für wen die Änderung positive und für wen sie negative Auswirkungen haben wird. Kleiner Spoiler: Für Geflüchtete wird es selten besser, dabei betrifft das Gesetz explizit sie und nicht die bereits hier wohnenden Menschen. Eine Currywurst kann Schärfe vertragen, aber ein Recht wird nur gewährt, verwehrt oder eingeschränkt – und zwar den Betroffenen, denen es gilt.
Wenn etwas verschärft wird, demonstriert das Stärke und Entschlossenheit – und weil vorhandene Gesetze stets nur nachgebessert werden, müssen auch die Überarbeitungen per se besser sein. Zumindest wird dieser Gedanke suggeriert und stillschweigend angenommen. Und zack, sind wir schon beim Euphemismus, der als Nebelkerze gut versteckt ist.
Ein Blick in die Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags bei opendiscourse.de zeigt übrigens, dass verschärft in exakt 100 Redebeiträgen der vergangenen zwölf Monate auftauchte: 24-mal bei CDU/CSU (davon dreimal bei Angela Merkel), 21-mal bei den Linken, 18-mal bei den Grünen, 13-mal bei der SPD, 12-mal bei der FDP und 12-mal bei der AfD. Im Gründungsjahr des Bundestags fiel das Wort in gerade mal 30 Reden.
Natürlich passt „verschärft“ in einem anderen Kontext gut, um ein stimmiges Bild zu vermitteln: Die verschärfte Lage in einer Krisenregion, die verschärften diplomatischen Beziehungen oder die verschärften Maßnahmen gegen die Pandemie sind einigermaßen wert-, zumindest interpretationsfrei. Apropos Corona: Während vor einem Jahr noch die „Diskussion über Lockerungen“ verschärft war, ist es mittlerweile der sogenannte Lockdown, der verschärft werden soll. Aber das ist Ländersache.
Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.