Floskel des Monats

umstritten

09.10.2020

Viele Floskeln in Nachrichtenmeldungen sind umstritten, doch kaum eine ist so geistlos und sinnlos wie umstritten. Sobald es mehr als eine Meinung gibt, gilt ein Thema als umstritten

Nicht selten kaschiert umstritten geschickt, dass die JournalistInnen einer anderen Auffassung sind; sie formulieren es auf den ersten Blick neutral. Aber nur scheinbar, denn letztlich wird mit umstritten eine Wertung transportiert und dann kann es schnell unpräzise werden, während das Framing perfekt sitzt.

Es ist im Journalismus vorrangig nicht Aufgabe, Meinungen zu verkaufen, sondern einen Sachverhalt aufzuzeigen, auszuwerten und einzuordnen – und nicht jede kleine und unbedeutende Gegenmeinung zu einem Skandal hochzujazzen. Auch die Sorge, unbedacht Partei zu ergreifen, führt häufiger dazu, zu diesem linguistischen Scheusal zu greifen.

Dabei ist es weder gänzlich noch teilweise umstritten, ob es Pfannkuchen, Eierkuchen oder Crêpes heißt, ob es Berliner oder Krapfen, Schrippen oder Semmeln sind. Eine ganze Reihe an Begriffen haben wir in der deutschen Sprache, die regional verortet sind, für die es aber keine einheitliche oder überregionale Bezeichnung gibt. Wir kennen sie als Dialekte. Sie sind eine Seite derselben Medaille – oder zwei Seiten einer Medaille? Schon geht’s los: ganz schön umstritten!

Praktisch alles kann umstritten sein und genau deswegen ist der Begriff so schrecklich bedeutungslos geworden, obwohl er als Teil der Meinungsfreiheit – nämlich insbesondere das konstruktive und faire Streiten, die Widerrede – einen per se wichtigen Beitrag für eine Demokratie leistet. Man könnte so gesehen fast die Befürchtung haben, dass umstritten doch eher positiv konnotiert sein müsste.

Für umstritten führt der Duden übrigens nicht umsonst die Synonyme anfechtbar, angreifbar, beanstandbar und bestreitbar auf. Führen wir es mal auf die Spitze: Wäre es sinnvoll, obgleich theoretisch berechtigt, von der umstrittenen Merkel, von einem umstrittenen Gesetzespaket oder den umstrittenen Corona-Maßnahmen zu sprechen? Besser sagen, was ist, besser informieren, was im Speziellen zu kritisieren ist, besser den Begriff umstritten aus dem journalistischen Repertoire streichen.

Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.

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