Floskel des Monats

Turbo zünden

08.02.2023

Ein Turbo ist eigentlich nur eine Kurzform für einen Abgasturbolader, bekannt aus der Automobilbranche. Ein „Bauteil zur Verdichtung der einem Verbrennungsmotor zugeführten Luft“, erklärt Wikipedia und gibt den geneigten Lai*innen zumindest zu verstehen, dass es a) eine Technik zur Verbrennung fossiler, also nicht mehr zeitgemäßer, zumindest endlicher Energieträger und b) irgendwas mit Autos, die derzeit im Verruf stehen, keine Fahrräder zu sein, ist.

Ob das der Chefin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands klar war, als sie auf der Jahresauftaktklausur ihrer Partei „Wir müssen einen Turbo zünden bei der Mobilität auf Schiene und Straße, bei den Wärmenetzen, bei erneuerbaren Energien und natürlich bei digitalen Netzen“ sagte? Klar, dass dann in sämtlichen Schlagzeilen etwas von „Turbo zünden“ stand. Als hätte Saskia Esken damit gerechnet, dass eine journalistische Auswertung nicht folgen wird, sondern das Plakative Vorrang erhält. Wäre auch zu viel verlangt gewesen. Gewiss: „SPD möchte Infrastrukturausbau beschleunigen“ klingt nicht so sexy.

Der zweckentfremdete Turbo durchzog aber schon früher das Land: Erinnern Sie sich noch ans „Turbo-Abi“ vor rund zehn Jahren, damit die Kinder schon nach der dritten Klasse endlich zur Uni geschickt werden können, um im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren? „Turbogeil“ war Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahr beliebt, wie die Verlaufskurve des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache eindrücklich aufzeigt. 2006 nahm der Duden das politische Schlagwort „Turbokapitalismus“ ins Wörterbuch auf. Puff!

Natürlich unterlag der Turbo, wie so viele Begriffe, steter Kaperungen, um lahmes Eigenes mit coolem Anderen zu übertünchen. Er ist vor Ewigkeiten schon ein Synonym für maximale Power, für außergewöhnliche Leistungen, für enorme Beschleunigung geworden. Der Duden erklärt das auch mit „sich mehr anstrengen, mehr leisten“. Doch bestünde zumindest die Möglichkeit, dass das Sprachbild zwar vielleicht nicht verschlissen ist, aber gar nicht mehr so modern wirkt wie noch in den 1970er und 1980er Jahren – und der Begriff allenfalls noch bei Auto­rennspielen am Computer einen Kick gibt? Bitte missachten Sie diesmal ausnahmsweise „Betteridges Gesetz der Überschriften“.

Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.

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