Floskel des Monats

Rote Linie

06.11.2018

Für diese Floskel möchten wir diesmal kein grünes Licht geben: Die rote Linie ist weder mit Ariadne verwandt, noch ist sie eine sonderlich altertümliche Formulierung. Laut der Gesellschaft für deutsche Sprache hat das englische Verb „to redline“ seinen Ursprung in den 1960er Jahren der USA – damals aber noch in einem anderen Kontext. Die rote Linie, und das überrascht, ist eine Floskel der Neuzeit. Eindrucksvoll können Sie das online in der Verlaufskurve für die vergangenen 400 Jahre beim Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache ersehen.

Nun mag das Bild zwar verständlich sein: Hier wird eine Grenze in einem warnenden Rot aufgezeigt – und wer diese überschreitet, begeht einen Tabubruch. Doch zum einen wünscht sich jeder diese Linie an einen anderen Ort, sodass sie entsprechend unspezifisch ist. Zum anderen wirkt sie inzwischen inflationär. Und war sie mal als physische Grenze zwischen Staaten oder Regionen gemeint, gilt die rote Linie mittlerweile als fiktive Grenze in Debatten und ist ein gern genommenes stilistisches Mittel in der Politik.

Nach dem Wahldebakel der SPD bei der bayerischen Landtagswahl sprach sich beispielsweise Parteichefin Andrea Nahles gegen „rote Linien“ in der GroKo-Frage aus. Im vergangenen Monat schrieb eine Tageszeitung aus Bayern über die SPD-Spitzenkandidatin: „Kohnen zieht rote Linie für Horst Seehofer“, und auch im Saarland wurde viel gemalt: „Gegenüber den anderen Autofahrern hat Finanzminister Olaf Scholz eine rote Linie gezogen.“ Das mag zwar hübsch aussehen, aber so wird das Sprachbild zusätzlich in Schieflage gebracht.

Eine Zeitung aus Baden-Württemberg (er)fand als Überschrift eine „dünne rote Linie“ im Umgang mit Rechtspopulisten. Angeblich gibt es sogar „unüberwindbare Linien“, wie Freie-Wähler- Chef Hubert Aiwanger nach der Bayernwahl sagte. Und auch „als Christ gibt es eine rote Linie“, formulierte eine Wochenzeitschrift. Wir finden: Die rote Linie hat den Rubikon schon längst überschritten.

Für den journalist analysiert das sprach- und medienkritische Webprojekt Floskelwolke.de von Sebastian Pertsch und Udo Stiehl in jeder Ausgabe eine Floskel oder Phrase, mit der Journalisten im Monat zuvor besonders häufig danebenlagen.


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