Floskel des Monats
nicht schlecht staunte
Wie durch ein Wunder durchzieht diese unsägliche Phrase, die neben auf Hochtouren und den klickenden Handschellen zum Standardrepertoire sämtlicher Pressestellen der Strafverfolgungsbehörden Deutschlands gehört, die Jahrzehnte der Medienlandschaft.
Sonderlich neu ist der Auswurf sprachlicher Floskelitis allerdings nicht: „Nicht schlecht staunten einige Westberliner“, schrieb die Zeit schon vor 60 Jahren, als zwei Düsenjets auf dem Tegeler Flughafen landeten – wohlgemerkt damals im französischen Sektor und mit der Gewissheit, dass die Luftwaffe illegal durch den Ostblock geflogen sein musste.
Wie das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache in der Verlaufskurve des Zeitungskorpus verrät, nahm der Gebrauch der Phrase aber erst seit den 1980ern zu. Heutzutage steht sie unter Hochdruck! Kaum eine Pressemitteilung der Polizei zu ausgefallenen Themen kommt ohne sie aus – und die Presse nimmt sie unredigiert, dafür fieberhaft, auf und verbreitet sie weiter. Allein im Juni gab es im deutschen Blaulicht-Presseportal für Polizei, Feuerwehr und Zoll mindestens eine Meldung pro Tag mit dieser Formulierung.
Kurios auch, dass der angeblich staunende Blick ohne jeden Beleg ständig Personen zugesprochen wird: „Da dürfte die Polizei (…) nicht schlecht gestaunt haben: Ein Mann radelte völlig unbekleidet durch die Stadt“, schrieb ein hessisches Lokalblatt Ende Juni – und zeitgleich im Sauerland, nur 200 Kilometer entfernt: „Ein Mann (…) dürfte auch nicht schlecht gestaunt haben, als er seinen Hausmüll entsorgen wollte: In der Tonne lag eine Schlange.“
Dabei drängt sich eine dringende Frage auf: Wie staunt man nicht schlecht? Ist es so ein Clark-Gable-Look? Eine Grimasse von Louis de Funès? Oder eher wie Grobi aus der Sesamstraße? Und darf man als BürgerIn staunend auch noch ein anderes Repertoire der Mimik präsentieren? In einer Terra-X-Doku des ZDF hieß es mal, es gebe 3.000 Variationen von Gesichtsausdrücken – aber die Polizei (er)kennt nur einen? Da kann doch schon statistisch etwas nicht stimmen. Hier muss nachgebessert werden!
Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.