Floskel des Monats
In aller Munde
Leider haben wir erst vor vier Ausgaben die floskelhafte Verwendung von fieberhaft thematisiert. Ansonsten würde der Begriff zumindest diesmal viral gehen, um die zugespitzte Lage wegen des Coronavirus aufzuzeigen. Stattdessen nimmt das – oder der? – Virus eine weitere Hürde, und wir bekommen bei den Hamsterkäufen doch glatt kalte Füße. Ob nun zuerst Hamster oder Viren auf dem Vormarsch waren, war zunächst unklar. Mittlerweile ist es bekannt – und es wird fieberhaft nach einem Impfstoff gesucht.Auch wenn Deutschland gut aufgestellt sei, wie gebetsmühlenartig immer wieder betont wird, kommt es in zahlreichen Nachrichtenmedien doch zu einem bemerkenswerten Bild, das nicht nur schief hängt, sondern auch geschmacklich atemberaubend ist: „Das Coronavirus ist in aller Munde.“ Da bleibt einem doch glatt die Spucke weg!Während die Redewendung die Nachrichtenwelt in Atem hält, darf nicht vergessen werden, dass sie schon zuvor sträflich missbraucht wurde, um versimplifiziert zum Ausdruck zu bringen, dass viele derzeit fast nur über ein Thema sprechen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass im vergangenen Monat folgende Schlagzeilen das journalistische Vier-Augen-Prinzip überstanden:„Lenin in aller Munde“, „Plastikmüll in aller Munde“, „Bitcoin in aller Munde“, „Klima in aller Munde“, „Digitalisierung in aller Munde“, „Büchlein in aller Munde“, „5G in aller Munde“ – sogar Schlagersänger Michael Wendler war angeblich „in aller Munde“. Egal! Auch das Gewürz „Kurkuma ist mittlerweile in aller Munde“, und die französische Stadt – und ausdrücklich nicht der Wein – Bordeaux ist seit „jeher in aller Munde“. Jetzt möchten wir den Mund nicht allzu voll nehmen, aber die Redensart hat einen bitteren Beigeschmack.