Floskel des Monats
brutaler Mord
Von den dramatisierten Dramen der Boulevard-Berichterstattung übermannt, lassen es sich Redakteurinnen und Redakteure der Polizeimeldungen-Verlautbarungsressorts regelmäßig nicht nehmen, jeden Artikel zu emotionalisieren und zeitgleich Mitgefühl zu heucheln. Ein Mord – sofern dieses Kriterium überhaupt schon vorurteilsfrei feststeht – ist nicht nur einfach ein Mord, sondern stets furchtbar oder brutal.
Machen wir uns nichts vor: Es gibt Medien, denen nicht nur mal eben eine Floskel oder eine unbedachte Wortwahl rausrutscht. Es ist ihr Lebenselixier, mit wohlüberlegten Phrasen Angst zu schüren. Stichwort: Clickbaiting. Da rutscht nicht nur mal eben ein „Familiendrama in Dresden“ oder „Brutaler Mord in Neusäß“ raus, wie vor kurzem erst wieder gelesen. Nein, die Kolleginnen und Kollegen, die so arbeiten, wissen um höchstproblematische Kompositionen wie Familientragödie, Eifersuchtsdrama oder Ehetat.
Möglicherweise hat diese Unart dazu geführt, dass der belästigende Adjektivismus immer häufiger auch an der Redaktionstür der nachrichtlichen Berichterstattung seriöser Medienhäuser klopft. Fragwürdige Einordnungen mit Adjektiven sind allerdings nicht Aufgabe der Nachrichten. Gewiss ist es ein Unterschied, ob ein Mann einen Femizid begangen und seine Frau und seine Kinder mit etlichen Messerstichen ermordet hat, ob jemand während eines Amoklaufs mehrere Menschen in der Öffentlichkeit erschoss oder ob jemand vergiftet wurde und möglicherweise schmerzfrei das Zeitliche segnete. Solche Einschätzungen und Interpretationen gehören aber nicht in eine Nachrichtenmeldung, die per se wertfrei sein muss.
Grundsätzlich hilft der Check: Gibt es das Gegenteil meines Adjektivs? Tragen meine Attributismen tatsächlich zu einer besseren oder ergänzenden Information bei oder nicht? Jeder Mord ist gesellschaftlich, zumindest ethisch betrachtet furchtbar. Die meisten Morde sind auch brutal – nicht zwingend, weil die Tat brutal erfolgte, wohl aber wegen des Vorsatzes, der Tötungsabsicht. Es gibt im Umkehrschluss keinen erheiternden und auch keinen fröhlichen Tod. Pleonasmen müssen also nicht gesondert erwähnt werden und können aus den Texten getrost gestrichen werden.Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.