Floskel des Monats

Ankerzentrum

03.07.2018

Wer einen Anker wirft, schafft einen Ort der Ruhe, der Festigkeit und natürlich auch der Hoffnung. Nach stürmischer See und langer Fahrt gibt der Anker Halt, am Hafen sogar ein Gefühl der Heimat. Der Stress, die Anstrengung und all die Strapazen sind vorüber. Der Anker ist also eine gängige Metapher für Halt und Beständigkeit. Ein Sprachbild, das wohl weltweit jeder kennt, jeder versteht.

Auf der ganzen Welt? Nein. Eine von unbeugsamen Bayern bevölkerte Sieben-Prozent-Partei hört nicht auf, der Barmherzigkeit Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die deutschen Visionäre, die als Hoffnung vor den befestigten Lagern Oberbayern, Niederbayern, Schwaben und Unterfranken liegen. Der Häuptling der Kleinstpartei schickt sich an, den Anker zweckzuentfremden.

Kein Halt, keine Ruhe – der Anker steht ab Zeile 4.988 des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“ (AnKER). Arno Kleinebeckel schrieb bei Telepolis treffend, dass diese Metaphorik eine sprachliche Mogelpackung sei: „Sie täuscht nach außen Hoffnung für die Hoffnungslosen vor, verdeckt zugleich latenten Rassismus und eine in Kauf genommene Verelendung der Betroffenen.“

„Wer Menschen über viele Monate in Ankerzentren einsperrt, zerstört dadurch jegliche Integrationsperspektive“, ergänzt die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, und selbst nach Einschätzung der Bundespolizeigewerkschaft handelt es sich um „Lager“. Viel mehr ist es nicht: Ein Abschiebelager, das in keiner Weise den Begriff Anker verdient.

Wegen des euphemistischen Konstrukts sollten Sie stets AnKERzentren schreiben oder – vermeintlich richtig geschrieben – „Ankerzentren“ zumindest in Anführungszeichen setzen, um sich die perfide Wortwahl nicht zu eigen zu machen. Außerdem verdeutlichen Sie dem Leser so, dass es sich hier um eine manipulative Formulierung von interessierter Seite handelt, die es nicht verdient, in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen zu werden.

Für den journalist analysiert das sprach- und medienkritische Webprojekt Floskelwolke.de von Sebastian Pertsch und Udo Stiehl in jeder Ausgabe eine Floskel oder Phrase, mit der Journalisten im Monat zuvor besonders häufig danebenlagen.

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