Floskel des Monats
aktuell
Aktuell lesen Sie gerade diesen Text – und Sie fragen sich vielleicht, was das denn jetzt schon wieder soll: Aktuell als Floskel? Fragen wir mal dagegen: Würde es etwas ändern, wenn Sie diesen Text einfach nur lesen? „Sie lesen gerade diesen Text.“ Denn welchen Erkenntnisgewinn hätte es, wenn der Satz ein zusätzliches aktuell enthielte? Kaum einen, möglicherweise gar keinen.
Das Wort ist hier überflüssig, weil sowohl durch die zeitliche Stellung („lesen“) als auch durch die Ergänzung („gerade“) offensichtlich ist, dass es jetzt stattfindet, ja, dass es ein aktueller Vorgang ist. Ebenso könnte die Verstärkung durch das Wort „gerade“ problemlos entfallen: „Sie lesen diesen Text.“ Das ist der Kern; alles andere bläht nur auf.
Je nach Einsatz kann das Aktuelle in die rhetorische Figur Tautologie oder Pleonasmus fallen. Und machen wir uns ehrlich: Das vermeintlich „Aktuelle“ ist (fast) immer nicht mehr aktuell, sondern eine Information aus der Vergangenheit, auf die aktuell nur hingewiesen wird und zu der es aktuell bereits neue Daten geben kann. Ob ein Wort erforderlich oder unnötig in einer Nachrichtenmeldung ist, kann übrigens mit der Frage nach Gegenteil und Widerspruch geklärt werden. Entsteht gar ein Oxymoron?
Es wäre ein Widerspruch, wenn Sie – blieben wir weiter beim Beispiel – nicht-aktuell diesen Text gerade läsen. Durchaus möglich, dass Sie einen Text aktuell nicht lesen, aber aktiv und zugleich nicht-aktuell geht einfach nicht. Nicht wahr? Und diesen Text unweigerlich ohnehin nicht. Oder wo befinden sich gerade Ihre Augen?
Die Frage nach dem Gegenteil ist ein oft unterschätztes Helferlein beim Formulieren von Texten. Wer schreit, der macht das unweigerlich laut. Leise geht das nicht, weshalb das „Laute“ bei „Er schreit laut.“ überflüssig ist – und selbst als Verstärkung (bei einem Pleonasmus) mit Vorsicht eingesetzt werden sollte.
Bei Naturkatastrophen informieren die Nachrichtenredaktionen über die Opferzahlen, aber muss das jedes Mal mit „aktuell“ unterfüttert werden? „Die Behörden geben aktuell 10.000 Tote an.“ Es ergäbe keinen Sinn, eine nicht-aktuelle Anzahl zu nehmen, wenn es bereits neue Zahlen gibt. „Die Behörden geben 10.000 Tote an.“ reicht aus, weil das der letzte Stand der Redaktion ist.
„Aktuell 5 Grad“? „Aktuell 3 Kilometer Stau“? „Aktuell Streckensperrung“? Nun, von gestern interessieren diese Werte in den Nachrichten nicht. Wer unbedingt auf eine Verstärkung besteht, um auf das Hier und Jetzt in den aktuellen Nachrichten hinzuweisen, aber nicht ständig aktuell wiederholen möchte, kann im Fundus unserer reichhaltigen Sprache auch auf Synonyme zurückgreifen: inzwischen, derzeit, jetzt, gegenwärtig, augenblicklich, zurzeit, akut, gerade, mittlerweile, unterdessen, momentan und so weiter. Sprache macht aktuell Spaß!
Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.