Floskel des Monats

Abstellgleis

28.04.2023

Bei mutmaßlich jeder Nachricht zum weiten Thema der Mobilität hupt verdächtig laut ein fortwährender Impuls in den Redaktionsköpfen: Mach ‘ne Floskel! Komm, noch eine Phrase und noch eine Metapher! Wir müssen’s runterbrechen! Einfach schreiben! Vergleiche ziehen! Versteht sonst niemand. – Anders ist es nicht zu erklären, dass für Sprachbilder ein derart intensiver und hochfrequenter Turbo gezündet wird, sobald es um Fortbewegungsmittel geht. Ein Reflex mit kognitiver Dissonanz, schließlich ist das Publikum nicht doof und Floskeln sind oft unnötig, wenn es um sachliche Berichterstattung geht.

Gerät eine Airline in finanzielle Schwierigkeiten, ist sie nicht einfach nur insolvent, sondern da geraten Aktien ins Taumeln, die Zukunft ins Trudeln und die ganze Fluggesellschaft befindet sich „im Sturzflug“. Das leicht verständliche, wenn auch schiefe Bild zeichnet eine unnötige Katastrophe: Denn letztlich sterben Menschen bei einem Absturz. Bei einer Firmenpleite ist das aber eher nicht der Fall. Das Bodenpersonal streikt? Dann wird der „Aufschwung gebremst“ und die Maschinen heben – nun, das lassen wir durchgehen – nicht ab. Und wer zu viel Kleingeld fürs Phrasenschwein in der Redaktion übrig hat, schreibt dann noch, dass „Flieger gestrichen“ werden. In welcher Farbe, war zunächst unklar.

Ein Boulevardblatt fragte im vergangenen Monat gar: „Wird dieser Überflieger eine Bruchlandung erleiden?“ Hoffentlich nicht. Dagegen sprachlich spannend zu beobachten sind Formulierungen, die sich inhaltlich verändert und manchmal gar nichts mehr mit dem Ursprung zu tun haben: Zum Beispiel das Weichen stellen, das eigentlich aus der Binnenschifffahrt kommt (siehe journalist 7/2019). Erst in der vorletzten Ausgabe war das Autokorrektorat dran und nun muss der öffentliche Personennahverkehr dran glauben:

Nach der jahrelangen Frage an der Supermarktkasse, ob man denn eine „Deutschlandkarte“ dabei habe, gibt es im kommenden Monat das ebenso nichtssagende wie gattungslose „Deutschlandticket“. Das eine ist immerhin ein gut durchdachtes, lange geplantes und hervorragend strukturiertes System zum Sparen und zur Entlastung auch bedürftiger Menschen. Das andere ist eine staatlich subventionierte Fahrkarte, die mit 49 Euro pro Monat vorgibt, ein qualitativer Nachfolger des 9-Euro-Tickets zu sein.

Doch selbst die Einführung ab Mai stand lange auf der Kippe: Ein Bürgermeister aus Nordrhein-Westfalen ließ es sich vor kurzem nicht nehmen zu behaupten: „Die Verkehrswende droht damit, auf dem Abstellgleis zu landen.“ Mal abgesehen davon, dass Ereignisse nicht drohen können, erleben wir nicht erst seit dem vergangenen Jahr Bahnfloskeln ohne Ende, deren Humorgehalt nur die @BahnAnsagen toppen können.

Auch von einer „verspäteten Einfahrt“ des Deutschlandtickets war in den Medien die Rede. Welch schönes Kopfkino! Und sowohl der Preis als auch der Start „wackelten“ angeblich. Aber das Abstellgleis geht grundsätzlich immer. Probieren Sie’s aus! Vor ein paar wenigen Jahren forderte beispielsweise der DGB, „Ältere und Menschen ohne Berufsausbildung nicht aufs Abstellgleis [zu] schieben“. Das wäre in der Tat zu begrüßen!

Vielleicht sollten wir in den Nachrichtenredaktionen etwas auf die Bremse treten, nicht jede Floskel nachplappern, sondern sie besser einordnen, und keine eigenen Phrasen produzieren, wenn Neutralität geboten ist. Dann sind hoffentlich die Weichen gestellt, um auf einem guten Weg zu sein.

Wie sich Floskeln und Phrasen im Journalismus ausbreiten, machen Sebastian Pertsch und Udo Stiehl mit der sprach- und medienkritischen Floskelwolke sichtbar. Hier stellen sie Begriffe oder Formulierungen vor, mit denen KollegInnen besonders häufig danebenliegen.

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